Montag, 14. April 2008

Es war einmal...



















"Kunst über Vernunft" (V.Ö. 11.o4.)

Maeckes und Celina sind Musiker.
Maeckes und Celina werden ein Paar.
Maeckes und Celina trennen sich voneinander.
Maeckes und Celina nehmen zusammen ein Album auf.

"Kunst über Vernunft" ist die Chronik einer gescheiterten Beziehung, die beide auf musikalischem Weg zu verarbeiten versuchen, ohne dabei in gegenseitige Schuldzuweisungen zu verfallen.
Das Ergebnis ist ein hauchzartes, masochistisches 1o-Schritte-Selbsthilfe-Programm, das mit verstörender Ehrlichkeit und emotionaler Unerschrockenheit ein bisher in dieser Form wohl noch nie dagewesenes Projekt einläutet.

"Zwei Seelen, eine Idee: Musik. Ein Wort, ein Ton, ein Mikro."

Und sie steigen gewaltig in dieses Projekt ein, die "Zwei Welten" entfalten sich taufrisch vor dem Hörer. Maeckes reimt in Bestform, kreativ wie eh und je, Celina trägt die Hook mit samtener Stimme ins Ziel.

Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann schwierig werden, wenn das Gedächtnis die Erinnerung verfälscht oder Emotionen im Kopf Bilder formen, die mit der Vergangenheit nicht mehr viel zu tun haben.
Für mich bleibt unverständlich, wie beide dennoch so aufrichtig und teilweise abgeklärt über Geschehenes sprechen können. Miteinander. In ein Mikro.

"Kunst über Vernunft" zeigt beide von einer betont besinnlichen und nachdenklichen Seite. Es ist weder Fisch und Fleisch, das jedoch bringt dem Album keine Abstriche, sondern Pluspunkte ein, denn obwohl Maeckes rappt, ist es kein HipHop. Obwohl es kaum von Beats getragen wird und Gesang ein tragendes Element ist - kein Pop.
Was sich auf dem MashUp- Mixtape vor ein paar Jahren auf geniale Weise angekündigt hat, wird hier konsequent auf den Punkt gebracht: Gänzlich neue Klänge bereichern das Ohr des Hörers und verbinden sich mit Sprechgesang zu einer homogenen Achterbahnfahrt..

Von aggressiven Drums ("2 Welten") über tiefmelancholische Klavierstücke ("Kunst über Vernunft") bishin zu 30er-Jahre-Swing ("Alkoholabhängige Piloten") zieht sich ein hochkreativer rot-schwarz-silbern-bleigrüner Faden um die zehn abwechslungsreichen Memoiren.

"Schade, Arschloch", der Promo- Track des Albums, bleibt auch nach unzähligen Durchläufen eines der beeindruckendsten Zwiegespräche auf "Kunst über Vernunft".

"Ja, schade dass ich so ein Arschloch bin, denn alles ergab doch n Sinn. Mein Charakter passt gut zu deiner Haarfarbe, ein paar Tage mehr und wir hätten uns gemocht. Paar Wochen mehr und wir hätten uns geliebt. Paar Jahre mehr und wir hätten uns gehasst."

Intuitiv kommt alles aufs Blatt, was sich während der Beziehung in den beiden Köpfen aufgestaut hat. Teilweise switcht der Text ins Englische, der Gesang driftet ins Unverständliche ab. Welten verschwimmen. Techno-Weihnachtslieder unterbrechen depressive Schneegestöber, Fliegenschwärme tragen den widerlichen Geruch von Vergänglichkeit an die Bahnhofstation.

"Bald ist es so weit, dass sie mal an Familie denkt- denkt sie sie ich grad, denn sie sieht grad einen Familienvater, wie dieser grad den Kinderwagen aus dem Graben zieht und nur noch das Kind vermisst, er läuft die ganze Straße ab, obwohl das Kind noch drinnen sitzt."

Umso verwunderlicher, dass ich selten wirklich ergriffen bin. Die Melodien sind wunderschön. Tausendfaltig. Die Texte zeigen, dass David Goliath mit einem brechenden Haken ins Nirvana verfrachtet. Kunst siegt über Vernunft, Maeckes und Celina finden wieder zueinander und bleiben Freunde. Besser noch, sie wandeln negative Energien in einen musikalischen Ausnahmesilberling um.
Warum kann ich das Album nicht so feiern wie jeder andere das sonst tun würde?

Vielleicht, weil Celina auf mich von Zeit zu Zeit nicht authentisch, sondern aufgesetzt wirkt, schon im Intro fürchterlich künstliche Phrasen drischt. Keine Frage, eine für deutschen HipHop heilsame Stimme, die Valezka und Konsorten allein qualitativ um Längen voraus ist.
Vielleicht ist es ihre Attitüde, die ab und zu kaum sichtbar zwischen wirklich guten Texten aufblitzt und wahrscheinlich nur mir übel aufstößt. Mir kommt ihr Bild aus einigen Interviews in den Kopf. Ich wende mich ab.

Eigentlich tut das dem Album keinen Abbruch, es steht für sich als beispielloses Melancholie- Aspirin und dürfte sicherlich viele einsame Seelen zur Therapierbarkeit bekehren.

Glücklicherweise verabschiedet sich der Maeckes, den ich am meisten zu schätzen weiß, mit "Don't Ask" in unverwechselbarer Raufasertapetenhypnose aus dem Album. Man schweigt, staunt, ist ergriffen.

Genial. Doch irgendwie kommen nur wenige Tropfen des Herzblutes, die sicherlich in dieser Platte stecken, bei mir an. Irgendetwas fehlt. Und es fehlt gewaltig. Und das, obwohl der Schmerz einem oft mit dem Zaunpfahl die Tür in Splitter schlägt.

Bleibt nur noch zu sagen:


"Unter diesen Umständen kann ich dich nicht lieben."

7.5/10

Schade, Arschloch [Hörprobe]


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